Selbst, wenn alles bereits überwunden scheint, kann sie immer noch zuschlagen: Die Wochenbettdepression, auch postpartale Depression genannt, ist selbst noch ein Jahr nach der Geburt möglich. Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen und Auslöser dafür, wobei die individuelle Lebenssituation eine nicht unwesentliche Rolle spielt.
Die Wochenbettdepression sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie kann sich sogar zu einer Problemlage auswachsen, die eine stationäre Behandlung nötig macht. Lesen Sie hier, worauf Sie achten sollten und was Sie dagegen unternehmen können.
Was ist eine Wochenbettdepression?
Die Anzeichen einer Wochenbettdepression zu verdrängen oder gar als Hysterie abzutun, ist mit Sicherheit der falsche Weg. Es handelt sich um eine psychische Erkrankung, die bei vielen Müttern nach der Entbindung auftritt. Drei Ausprägungen der Krankheit sind bekannt:
- Postpartales Stimmungstief („Baby Blues„)
- Postpartale Depression
- Postpartale Psychose
Im medizinisch-wissenschaftlichen Kontext ist mit Wochenbettdepression nur der zweite Krankheitstyp gemeint – die postpartale Depression. Allerdings hat sich die Bezeichnung im alltäglichen Gebrauch für alle drei Typen durchgesetzt. Andere medizinische Bezeichnungen dafür sind postpartum Depression oder postnatale Depression.
Dass die Wochenbettdepression keine Ausnahmeerscheinung ist, belegt die Statistik. Zwischen 10 und 15 Prozent aller Mütter erkranken an geburtsbedingten psychischen Störungen. In seltenen Fällen können auch Väter davon betroffen sein. Dabei sind sowohl assoziative Erkrankungen zu beobachten (der Vater erkrankt, weil die Mutter erkrankt ist) als auch eigenständige Ausbrüche, die auf individuelle Problemlagen des Vaters zurückgehen.
Nicht mit der Wochenbettdepression zu verwechseln sind postpartale Angstzustände. Sie gelten als eigenständige Erkrankung, da sie nicht zwangsläufig auf eine Depression hinauslaufen. Wird eine nach der Geburt ausbrechende Angststörung allerdings nicht rechtzeitig behandelt, kann sie sich zu einer Wochenbettdepression weiterentwickeln.
Der Beginn ist schleichend
Ein Grund, warum die Wochenbettdepression im Anfangsstadium vielfach schwer erkennbar ist, hängt mit der stark schwankenden Inkubationszeit zusammen. Die Depression kann sich bereits eine Woche nach der Entbindung entwickeln, aber genauso gut auch erst nach einigen Monaten oder einem Jahr. Gleiches gilt für die Krankheitsdauer. Die Depression kann sich über Wochen oder auch über Jahre ausdehnen.
Gerade dieser schleichende Einstieg ist oft die Ursache für verstärkende Effekte. Zum einen nimmt die Mutter selbst die Anzeichen nicht ernst und wischt sie als unerwünschte Launenhaftigkeit zur Seite. Zum anderen erkennen auch Angehörige oder der Partner nicht, dass die Lage ernst ist und etwas getan werden muss. Das führt dazu, dass gerade die so wichtige Unterstützung durch den Partner zunächst ausbleibt.
Die Anzeichen, die auf eine Wochenbettdepression hinweisen, sind Hoffnungslosigkeit, gehäuft auftretende Stimmungstiefs und eine voranschreitende soziale Isolation. In extremen Fällen kann sich zusätzlich eine Suizidneigung einstellen. Da diese Symptome auch bei anderen Problemlagen auftreten, wird die Wochenbettdepression in vielen Fällen erst spät erkannt.
Eine wirksame Strategie ist die proaktive Einstellung vor allem bei der Mutter und ihrem Partner. Das bedeutet: Die Eltern machen sich bereits vor der Geburt mit der Möglichkeit einer folgenden Wochenbettdepression vertraut. Das erhöhte Problembewusstsein führt dazu, dass die Partner im Jahr nach der Niederkunft mit erhöhter Aufmerksamkeit auf mögliche Symptome achten und die Depression bereits in einem sehr frühen Stadium erkennen und gegen sie vorgehen können – was den Krankheitsverlauf spürbar positiv beeinflusst.
Gerade auch die Suizidgefahr in schweren Fällen von Wochenbettdepression spricht für eine besonders aufmerksame Beobachtung möglicher Symptome. Vielfach steht sogar das erweiterte Suizidrisiko im Raum, wobei die Mutter auch ihr Kind mit in den Tod reißt.
Wochenbettdepression light: der Baby Blues
In der Anfangsphase sehen alle drei Ausprägungen der Wochenbettdepression gleich aus. So lange die Symptome schwach und harmlos erscheinen, lässt sich noch noch sagen, wie sich die Erkrankung entwickelt. Zwar ist erhöhte Aufmerksamkeit angesagt, aber noch gibt es keinen Grund, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Schon nach wenigen Tagen besteht Klarheit. Verfliegen die Anzeichen einer psychischen Instabilität oder Überempfindlichkeit wieder, handelte es sich nur um einen Baby Blues. In diesem Fall sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich.
Extremfall postpartale Psychose
Bei etwa zwei Promille aller Geburten erscheint die geburtsbezogene psychische Störung als postpartale Psychose. Anders als bei normaler Wochenbettdepression erfolgt der Ausbruch zeitnah innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Geburt, meist sogar schon innerhalb der ersten beiden Wochen.
Die strukturelle Ausprägung der Psychose ähnelt der einer Wochenbettdepression, allerdings sind die Auswirkungen drastischer. Zusätzlich zeigen sich typisch psychotische Symptome wie Denkstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Affektstörungen und Realitätsverlust. Auch Wahnvorstellungen und Halluzinationen können sich einstellen. Das einfache und erweiterte Suizidrisiko ist bei Müttern mit einer postpartalen Psychose natürlich besonders hoch. Psychotische Störungen dieses Kalibers müssen zeitnah stationär behandelt werden.
Woran erkennt man eine Wochenbettdepression?
Die Schwierigkeit, eine Wochenbettdepression bereits im Frühstadium auszumachen, hängt auch mit der Vielfältigkeit der möglichen Symptome zusammen. Auch aus diesem Grund ist die vorhin beschriebene proaktive Strategie der Partner dringend zu empfehlen. Wenn die Eltern sich gründlich in die Thematik eingearbeitet haben, wird es ihnen leichter fallen, die Symptome bereits in ihrer Frühphase zu erkennen und den Zusammenhang mit der überstandenen Geburt herzustellen.
Die Frühphase äußert sich durch harmlos und alltäglich wirkende Effekte wie Schwindel, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Reizbarkeit oder Schlafstörungen. Nur gilt es darauf zu achten, ob sich einige dieser Folgesymptome zeigen:
- Allgemeine Freudlosigkeit
- Unmotivierte Schuldgefühle
- Allgemeine Angstzustände und Panikattacken
- Antriebslosigkeit, Mangel an Energie
- Gefühl innerer Leere
- Unmotivierte Hoffnungslosigkeit
- Mangel an eigener Wertschätzung
- Schwankende Gefühlslage dem Kind gegenüber
- Allgemeines Zittern
- Taubheitsgefühle
- Sexuelle Unlust
- Herzbeschwerden
Die beherrschende Gefühlslage kann ein universelles Desinteresse an den Bedürfnissen des Kindes oder der Familie sein. Neben der Gleichgültigkeit dem Kind gegenüber zeigt sich diese Einstellung auch an der Vernachlässigung der eigenen Person. Der Partner sollte beobachten, wie sich die Mutter dem Kind gegenüber verhält. Auch, wenn sie es einwandfrei versorgt, kann die Interaktion mit dem Kind im Fall einer Wochenbettdepression gestört sein. Sind keine Gefühlsregungen zu beobachten, so als gehe sie mit einer Puppe um, ist die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Störung groß.
Ursache: ungeklärt
Es gibt noch keine befriedigende wissenschaftliche Erklärung darüber, was die Wochenbettdepression auslöst. Allerdings gibt es eine Reihe ernst zu nehmender Vermutungen und Hypothesen. Die populärste Theorie geht von der hormonellen Umstellung der Mutter nach der Geburt aus. Die Konzentration der Hormone Östrogen und Progesteron sinkt unter Normalwert. Da diese Hormone unter anderem auch im Gehirn aktiv sind, könnte darin eine Ursache für die Wochenbettdepression liegen. Östrogen und Progesteron wirken Psychosen und Depressionen entgegen und stabilisieren die Stimmung. Ist der Hormonausstoß zu gering, verringern sich diese regulierenden Effekte. Verstärkend wirkt der Anstieg der Konzentration beim Hormon Prolaktin, das mit der Intensivierung von Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit in Verbindung gebracht wird.
Die Theorie der Hormone als Auslöser von Wochenbettdepression steht allerdings auf wackeligen Beinen. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass der weibliche Hormonspiegel in der postnatalen Phase bei Frauen mit und ohne Wochenbettdepression in etwa gleich ist. Auch zwischen dem Auftreten der Depression und dem Zeitpunkt der Hormonveränderungen konnte kein fester Zusammenhang festgestellt werden.
Aussichtsreicher bei der Ursachenforschung scheinen soziale und familiäre Begleiterscheinungen zu sein. Offenbar verstärken der mangelnde Beistand durch den Partner oder wirtschaftliche Probleme die Tendenz zur Wochenbettdepression. Das Ausmaß der Erkrankung hängt dabei häufig vom Grad der Probleme ab und von der Intensität, mit der die Frau solche Probleme wahrnimmt.
In vielen Fällen hängt eine Wochenbettdepression auch mit der Frage zusammen, ob die Mutter bereits vor der Schwangerschaft mit psychologischen Problemen belastet war oder ob derartige Probleme bereits in der Familie vorhanden sind. Die Ausprägung solcher Faktoren entscheidet über die Intensität und Dauer der Wochenbettdepression. Besonders vorher schon bestehende Depressionen, Phobien, Panikattacken sowie Zwangs– und Angststörungen können bevorzugt Wochenbettdepressionen auslösen.
Weitere Ursachen können mit dem körperlichen Status der Mutter zusammenhängen, etwa allgemeine geistige und körperliche Erschöpfung oder Schlafmangel. Stellt sich eine Umstellung des Stoffwechsels ein, beispielsweise durch eine Veränderung bei den Schilddrüsenhormonen, führt das ebenfalls oft in die Wochenbettdepression. Weitere Ursachen können traumatische Kindheitserlebnisse oder Schreikinder sein.
Diagnose
Wegen der nicht schlüssig geklärten Krankheitsursachen gibt es keine allgemeingültige Vorgehensweise bei der Diagnose. Sie ist in den meisten Fällen ein subjektiver Vorgang, ausgelöst durch Beobachtungen und Vermutungen der Mutter oder aus dem Umfeld. Das sollte allerdings immer nur der erste Schritt sein und zum Besuch des Hausarztes oder des Frauenarztes führen. Hier erst kann ein aussagekräftiger Behandlungsplan entstehen.
Die Evaluierungsmethode, die sich auf dem Gebiet der Wochenbettdepression bisher am erfolgreichsten geschlagen hat, ist die Edinburgh-Postnatal-Depression-Scale (EPDS). Dabei füllen Mutter und Arzt gemeinsam einen Fragebogen aus. Als Ergebnis liefert die EPDS den Ausprägungsgrad der Wochenbettdepression.
Behandlung
Der Weg zur Heilung hängt bei der Wochenbettdepression vom Grad der Ausprägung ab. Liegt nur eine leichte Form vor, genügt es oft schon, der Mutter das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine steht und alle Unterstützung erhält, die sie braucht. Das kann sich in so alltäglichen Dingen wie Hilfe im Haushalt oder bei der Babypflege äußern. Wer die Hilfe liefert, ist im Grund unerheblich. Sie kann von Familienangehörigen, der Hebamme oder dem Partner kommen. Ein Element sollte die Hilfe aber in jedem Fall enthalten: den Gedankenaustausch über die Zukunft und wie sie zu bewältigen ist. Die Hoffnung darauf, dass alles besser wird, ist bei leichter Wochenbettdepression die beste Behandlungsmethode.
In schwereren Fällen geht es nicht ohne psychotherapeutische Begleitung. Die Behandlung kann als Körpertherapie oder als Gesprächstherapie erfolgen. Welche Methode im konkreten Fall die richtige ist, sollte der Arzt unter Berücksichtigung der Vorstellungen der Mutter entscheiden. In der Regel wird der Therapeut die Familie oder den Partner in die Maßnahme mit einbeziehen, denn sie alle müssen lernen, die Krankheit zu verstehen und mit der Patientin richtig umzugehen, um den Genesungsverlauf wirkungsvoll zu unterstützen. Ob die Therapie durch die Einnahme von Antidepressiva unterstützt werden muss, entscheidet ausschließlich der Therapeut.
Bei schwerer Ausprägung von Wochenbettdepression oder postpartaler Psychose ist im Interesse der eigenen Sicherheit und der Sicherheit des Kindes der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung unvermeidbar. Einige Städte und Gemeinden unterhalten spezielle Mutter-Kind-Kliniken, die für diese Form der Behandlung besonders gut geeignet sind.
Obwohl viele Frauen während der Depressionsphase jede Hoffnung verlieren, jemals wieder gesund zu werden, weist die Krankheit eine gute Prognose auf. Der Großteil der betroffenen Frauen kann von Wochenbettdepression vollständig geheilt werden.
Vorbeugung ist möglich
Es gibt Wege, Frauen mit einer Disposition zu Wochenbettdepression zu erkennen. Neigen sie bereits während der Schwangerschaft zu Angstzuständen oder depressiven Phasen, ist später mit Wochenbettdepression zu rechnen. In diesem Fall hilft in der ersten Zeit nach der Geburt besondere Zuwendung und Pflege des Babys, geleistet nach Möglichkeit vom Pflegepersonal und vor allem vom Partner. Das gibt der Mutter Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen und die Zeit zu finden, sich in die neue Lebenssituation einzufinden.
Das zentrale Element beim Umgang mit Wochenbettdepression ist in allen Abschnitten der Schwangerschaft und der Zeit danach die intensive und liebevolle Betreuung in der Familie und durch den Partner. Wochenbettdepression entsteht vor allem durch das Gefühl, allein zu stehen und den kommenden Herausforderungen nicht gerecht werden zu können. Je überzeugender die Familie oder der Partner der jungen Mutter klar machen kann, dass genau das nicht der Fall ist und sie jede Hilfe und Zuwendung bekommt, die sie braucht, desto schneller ist die Wochenbettdepression überwunden.
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